„Ethik und Nachhaltigkeit müssen zu gelebten Werten werden – besonders in der Bankenwelt“
Patrice Baumann, der sich bereits seit 2010 im Vorstand von CRIC engagiert, beschreibt in der Rubrik Drei Fragen an unter anderem, welche Hoffnungen er mit der Finanzkrise im Jahr 2008 verknüpfte und welche theologisch inspirierten Fragen sich auch Investierende und Vermögensverwalter stellen können, wenn sie sich für oder gegen eine Anlage entscheiden müssen.
CRIC: Herr Baumann, Sie sind Eidgenössisch diplomierter Finanzanalytiker und Vermögensverwalter sowie Certified International Investment Analyst und haben sich lange Zeit in der Bankenwelt bewegt. Zuletzt waren Sie im Private Banking tätig. Was war der Auslöser dafür, dass Sie begonnen haben, diesen Bereich mit Fragen der Ethik und der Nachhaltigkeit zu verknüpfen?
Patrice Baumann: Persönlich war und bin ich überzeugt, dass Ethik und Nachhaltigkeit nicht einfach Marketingworte sein dürfen, sondern zu gelebten Werten werden müssen, besonders in der Bankenwelt. Verbunden mit der Finanzkrise 2008 wuchs meine Hoffnung, dass diese Krise Anlass für Veränderungen sein könnte und ethischen Werten und Grundhaltungen zum Durchbruch verhelfen würde. Es bot sich bei meinem damaligen Arbeitgeber die Gelegenheit, in kleinem Rahmen einen Bereich für ethische und nachhaltige Vermögensverwaltung aufzubauen. Auch wenn die Hoffnungen für grundlegende Veränderungen in der Finanzwelt schnell der Ernüchterung weichen mussten, entwickelte sich der neue Bereich sehr positiv.
Hinzu kam, dass ich kirchliche Institutionen in der Entwicklung von Anlagerichtlinien und deren Umsetzung begleiten durfte. Die Richtlinien sollten Überzeugungen und Werte widerspiegeln, welche für die Institutionen wichtig oder grundlegend waren, aber in der Vergangenheit nur rudimentär in den Vermögensanlagen sichtbar wurden und vom Mythos "Nachhaltigkeit nur auf Kosten von Rendite" geprägt waren. Mit Ausschlusskriterien und nachhaltiger Gewichtung konnten die Anlagerichtlinien umgesetzt werden. Besonders erfreulich für die Institutionen – und mit wachsender Zahl auch Privatpersonen – war die Erfahrung, dass Renditen dadurch nicht geschmälert wurden.
CRIC: Sie haben die Entscheidung gefällt, sich insbesondere mit dem christlichen Glauben intensiver zu befassen. Welche Impulse vermag die Theologie der Finanzwelt und speziell der Geldanlage zu geben?
Patrice Baumann: Impulse sehe ich vor allem darin, zum Nachdenken anzuregen, kritische und unangenehme Fragen zu stellen und ethische Aspekte zu thematisieren. Einige Beispiele seien hier genannt:
- Welches Menschenbild steckt hinter dem wirtschaftlichen Tun? Ist der Mensch Mittel zum Zweck und dient der Gewinnmaximierung?
- Der Mensch ist nicht frei von Fehlern und Versagen. Wie gehen wir damit um?
- Welche Verantwortung hat ein Unternehmen für seine Mitarbeitenden und die Umwelt?
- Muss es Wachstum um jeden Preis sein oder leben wir mit kleineren Wachstumsraten nicht auch sehr gut? Ist die Vergötterung von Wachstum nicht zu hinterfragen?
- Wie sieht es mit der Sinnfrage – auch im Hinblick auf die Endlichkeit des Menschen – aus?
Dies sind einige Fragen, die ich mir als Investor oder Vermögensverwalter genauso gut stellen kann, wenn ich mich für oder gegen eine Anlage entscheiden muss.
CRIC: Auch die Digitalisierung zählt zu den Themen, mit denen Sie sich beschäftigen. Können Sie kurz umreißen, welche Herausforderungen, aber auch Chancen, dieser Bereich mit Blick auf Fragestellungen der Ethik und der Nachhaltigkeit wie auch der Geldanlage birgt?
Patrice Baumann: Die Aspekte, die mit dem Begriff Digitalisierung verbunden werden, sind vielfältig: Umgang mit Big Data, Veränderung der menschlichen Interaktionen, Verschiebung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, flexiblere Arbeitsbedingungen, veränderte Wertschöpfungsketten, Transparenz von Prozessen, Abbau von Arbeitsplätzen mit Routineaufgaben, Erleichterungen im Alltag usw. Die Liste von Chancen und Risiken liesse sich beliebig fortsetzen.
Gerade im Hinblick auf Geldanlagen ist der Umgang von Unternehmen mit diesen Aspekten der Digitalisierung zu prüfen und zu berücksichtigen. Als Investor habe ich Möglichkeiten der Informationsbeschaffung in bisher nicht gekanntem Ausmasse. Gleichzeitig muss ich aber lernen, damit umzugehen. Die aktuelle Pandemie-Situation hat wohl ungeahnte Möglichkeiten der Digitalisierung aufgezeigt – zum Bespiel Homeoffice, Videokonferenzen für Sitzungen oder Veranstaltungen. Gleichzeitig hat sie aber Grenzen sichtbar gemacht. Zum Beispiel haben persönliche Kontakte eine andere Qualität als das Gespräch am Bildschirm.
Weitere Informationen zu Patrice Baumann und den anderen Mitgliedern des CRIC-Vorstands gibt es hier.
Bereits erschienen in der Reihe Drei Fragen an sind:
- Drei Fragen an den CRIC-Vorstandsvorsitzenden David A. Reusch: „Renditen“ wie Gerechtigkeit, Schönheit, Glück oder Zufriedenheit
- Drei Fragen an CRIC-Vorstand Michael Diaz: Die Finanzmarktrationalität wird für ethisch-nachhaltige Fragestellungen aufgebrochen
- Drei Fragen an CRIC-Vorstand Dr. Karin Bassler: Darum muss der aus klimapolitischen Gründen nötige Strukturwandel sozial gerecht vonstattengehen