Im Gespräch: Ulrich Röhrle zum Nachhaltigkeitsmerkblatt der BaFin

„Ich bin überzeugt, dass wir den Blickwinkel komplett verändern müssen“

Der Finanz- und Nachhaltigkeitsexperte Ulrich Röhrle äußert sich im Gespräch mit CRIC dazu, wie das Nachhaltigkeitsmerkblatt der BaFin einzuschätzen und in den größeren Kontext einzuordnen ist. Wer nur mit Argusaugen auf das Merkblatt schaue, verstelle sich den Blick auf die Notwendigkeiten und Chancen der vielleicht größten Transformation der letzten Jahrzehnte, mahnt er an.

CRIC: Herr Röhrle, bereits die Entwurfsversion des Merkblatts der BaFin zu Nachhaltigkeit ist auf viel positive Resonanz gestoßen – gerade auch von Seiten der Sustainable Finance-Akteure. Ist der deutschen Finanzmarktaufsichtsbehörde hier ein großer Wurf gelungen?

Röhrle: Aus meiner Sicht ist die Frage, ob es ein „großer Wurf“ ist, nicht die entscheidende. Ich könnte Ihnen genauso viele Akteure nennen, die das ganz anders sehen. Nein, der Kern ist aus meiner Sicht ein zweifacher. Erstens: die BaFin hat deutlich gemacht, dass sie Klimarisiken im Kerngeschäft als wichtiges, bislang unterschätztes Risiko ansieht. Zweitens hat sie die klare Erwartung geäußert, dass sich die beaufsichtigten Unternehmen mit diesen Risiken auseinandersetzen sollen. Und wer sich mit diesen Risiken beschäftigt, kommt nicht umhin, sich dem Thema Nachhaltigkeit als Ganzes zu nähern. Überraschend kam das alles nicht, die Bafin hat hier aus meiner Sicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Denken Sie nur an die entsprechende Bafin-Konferenz im Mai 2019 und die korrespondierend hierzu erschienenen „BaFin-Perspektiven“, ein 86seitiges Kompendium über Nachhaltigkeit, Finanzmarkt und Aufsicht.

CRIC: Wenn Sie die Entwurfsversion und die finale Version nach der Konsultation vergleichen: Inwiefern hat sich der Inhalt des Merkblatts verändert?

Röhrle: Das Wording ist deutlich abgeschwächt worden. In nahezu jedem Passus sind die Imperative durch Empfehlungen und Möglichkeiten ersetzt worden. Inhaltlich hat sich nach meinem Dafürhalten wenig verändert. Hingegen ist die freie Wahl der Methoden noch stärker herausgestellt worden. Im Übrigen sind aus 33 Seiten nun 34 Seiten geworden. Und wenn Sie einen Blick in die jüngst veröffentlichten „Aufsichtsschwerpunkte 2020“ der BaFin werfen, werden Sie schnell feststellen, dass der aufsichtsrechtliche Prozess wohl schon 2021 starten wird. Also gilt es, die Zeit bis dahin zu nutzen und sich zu orientieren.

CRIC: Mit Blick auf das Merkblatt geht es häufig auch um die Frage, wie verpflichtend dieses letztlich ist. Die BaFin selbst unterstreicht hier zwar dessen Unverbindlichkeit, formuliert aber auch die klare Erwartungshaltung, dass „die beaufsichtigten Unternehmen eine Auseinandersetzung auch mit Nachhaltigkeitsrisiken sicherstellen und dies dokumentieren.“ Wie verbindlich ist das Merkblatt tatsächlich und wie verbindlich sollte es Ihrer Auffassung nach sein?

Röhrle: Das Merkblatt ist nach den eigenen Worten der Bafin zunächst eine Orientierungshilfe, nicht mehr und nicht weniger. In den Aufsichtsschwerpunkten 2020 hat die BaFin ihren Fahrplan konkretisiert. Die EZB wird das Thema auch 2021 auf den Schirm nehmen.

Ich bin allerdings überzeugt, dass wir den Blickwinkel komplett verändern müssen. Letztlich geht es doch nicht um die BaFin, sondern die Tatsache, dass wir einen menschengemachten Klimawandel haben, dessen Ursachen wir nur dann in den Griff kriegen können, wenn sich Investitions- und damit Finanzströme grundlegend verändern. Wer nur mit Argusaugen auf das Bafin-Merkblatt schielt, verstellt sich den Blick auf die Notwendigkeiten und Chancen der vielleicht größten Transformation der letzten Jahrzehnte. Die Herausforderung aus Bankensicht liegt darin: Wie kann ich etwa meine Unternehmenskunden bestmöglich bei der Entwicklung und Umsetzung von Geschäftsmodellen begleiten, die in einer dekarbonisierten Wirtschaft zukunftsfähig sind.

CRIC: Wie sehen Sie das Merkblatt im Zusammenhange mit Maßnahmen aus dem EU-Aktionsplan, etwa der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten?

Röhrle: Aus meiner Sicht sollte eine Trennung zwischen den aufsichtsrechtlichen Themen im Sinne des Risikomanagements und den weiteren Maßnahmen erfolgen. Diese haben natürlich Interdependenzen. Daher ist es wichtig, die Themen vernetzt zu betrachten. Hier werden wir im Laufe des Jahres 2020 deutlich mehr Klarheit bekommen.

CRIC: Deutschland scheint sich national wie auf EU-Ebene zunehmend im Bereich Sustainable Finance engagieren zu wollen. Die Veröffentlichung des Merkblatts wird auch diesem Umstand zugeschrieben. Wie sollte sich Deutschland aus Ihrer Sicht mit dem Merkblatt und darüber hinaus idealerweise in die europäische und internationale Debatte einbringen?

Röhrle: Deutschland hat allen Grund, sich in Sachen Klimakrise international einzubringen, da wir nach wie vor zu den Ländern gehören, die die Biokapazitäten der Erde am meisten überlasten.

Das Engagement darf sich jedoch nicht einseitig auf den Finanzmarkt fokussieren. Mir scheint, dass die Politik hier auch Nebelkerzen zündet, um vom Versagen in anderen Feldern der Nachhaltigkeit abzulenken. Das halte ich für fatal. Die Politik scheut sich, klar zu sagen, dass die Transformation nicht ohne Verhaltensänderungen und erhebliche Kosten gelingen wird. Denken Sie nur an die unsägliche Diskussion um die lächerliche Höhe des CO2-Preises oder die kontraproduktive Erhöhung der Pendlerpauschale.

In Sachen Klima schaut Europa stark nach Deutschland. Und die Welt orientiert sich an Europa. Also sollten wir unseren Wirkungsradius nicht kleinreden, auch der Einzelne nicht. Hier halte ich es mit dem Sprichwort: „Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Erde verändern.“

CRIC: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Röhrle.

Das Interview führte Gesa Vögele.

Ulrich Röhrle ist geschäftsführender Partner von N-Motion - Röhrle & Henle Partnerschaftsgesellschaft, einem Mitglied von CRIC.

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