„Der integrierte Bericht wäre der Königsweg der finanziellen und nicht-finanziellen Berichterstattung in Europa“
Dr. Patrick Velte, der an der Leuphana Universität Lüneburg eine Professur für Accounting, Auditing & Corporate Governance innehat, zeigt im Gespräch mit CRIC auf, wie die aktuell diskutierte Überarbeitung der so genannten EU-CSR-Richtlinie aus seiner Sicht genutzt werden kann, um die Qualität der nicht-finanziellen Berichterstattung (Corporate Governance-, Nachhaltigkeits- und Vergütungsberichte) perspektivisch deutlich zu verbessern.
CRIC: Herr Prof. Velte, wie bewerten Sie die Qualität der nicht-finanziellen Berichterstattung von Unternehmen nach dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) in Deutschland?
Prof. Velte: Wir haben kürzlich die verschiedenen empirischen Studien zur nicht-finanziellen Erklärung für das Geschäftsjahr 2017 und 2018 für den europäischen und deutschen Kapitalmarkt ausgewertet. Es gibt insgesamt starke Qualitätsdefizite, auch bei den DAX 30-Konzernen. Eine Vergleichbarkeit der nicht-finanziellen Erklärungen aus zeitlicher und zwischenbetrieblicher Sicht ist nach wie vor nicht gegeben. Ursächlich hierfür sind die vielen Freiheitsgrade nach dem deutschen Handelsrecht. Viele kapitalmarkt-orientierte Unternehmen verzichten darauf, quantitative Leistungsindikatoren für ausgewählte nicht-finanzielle Aspekte (z. B. Umweltbelange) anzugeben. Die Wesentlichkeitsschwelle liegt teilweise so hoch, dass keine wesentlichen – berichtspflichtigen – Risiken vorliegen. So verzichten auch Unternehmen in äußerst umweltsensiblen Branchen weiterhin auf eine Angabe von Klimarisiken. Das CSR-RUG hat insgesamt seine Zielsetzung nicht erfüllt und bedarf einer dringenden Korrektur durch den Gesetzgeber.
CRIC: Welche Maßnahmen wären geeignet, um eine verbesserte Berichterstattung zu erhalten?
Prof. Velte: Hierzu sind mehrere Punkte anzuführen. Zunächst einmal wäre es wichtig, sich auf einen einheitlichen Ausweisort für die nicht-finanzielle Erklärung zu verständigen. Aktuell gibt es mindestens fünf unterschiedliche Ausweismöglichkeiten, z. B. im Lagebericht, in einem Nachhaltigkeitsbericht oder auf der Internethomepage.
Auch sollte die historisch gewachsene Vielfalt an nicht-finanziellen Berichten – die Erklärung zur Unternehmensführung (Corporate Governance Statement), die nicht-finanzielle Erklärung und der „neue Vergütungsbericht“ – in einem Medium zusammengeführt werden. Das würde der Zielsetzung des Kapitalmarkts, die Environmental, Social & Governance (ESG)-Leistung von Unternehmen zu analysieren, entgegenkommen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wer sich für diversitäts-fördernde Maßnahmen des Unternehmens interessiert, muss für die gesamte Belegschaft in der nicht-finanziellen Erklärung nachschauen. Wenn es allerdings um den Vorstand und Aufsichtsrat geht, sind diese Informationen bislang in der Corporate Governance-Erklärung angabepflichtig. Hier brauchen wir eine Vereinheitlichung, und dies auch mit der Finanzberichterstattung. Insgesamt gilt: Das bisherige „Silo-Denken“ im finanziellen und nicht-finanziellen Berichtswesen muss überwunden werden. Ansonsten sind Greenwashing und Information Overload weiterhin vorprogrammiert.
Um die Vergleichbarkeit zu verbessern, wäre es außerdem sinnvoll, sich auf ein einheitliches globales Rahmenwerk zu verständigen. Anbieten würde sich vordergründig die Global Reporting Initiative (GRI) mit ihren Nachhaltigkeitsstandards. Diese haben sich als „Best Practice“ bei internationalen Konzernunternehmen etabliert. Die GRI müsste allerdings eine enge Kooperation mit dem International Accounting Standards Board (IASB) eingehen, weil es viele Interdependenzen zwischen Financial und Non Financial Reporting in der Unternehmenspraxis gibt. Das IASB vertritt bedauerlicherweise weiterhin die Auffassung, dass Investoren ein nachrangiges Interesse an nicht-finanziellen Informationen haben und die IFRS-Finanzberichte hierauf nicht ausgelegt werden müssten.
Standards, etwa die aktuellen Empfehlungen der TCFD für die Klimaberichterstattung verpflichtend zu machen, ist eine aktuell diskutierte Maßnahme des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. Einheitliche Rahmenwerke sollten aber nicht nur für die Klimainformationen herangezogen werden, sondern auch für andere ökologische und soziale Themen. Die aktuelle Corona-Krise zeigt uns dieses Zusammenspiel ja deutlich auf. Dabei ist jedoch Folgendes zu bedenken: Um entsprechend qualitativ hochwertig berichten zu können, müssen die Unternehmen zunächst massiv in Nachhaltigkeits-Management-Systeme investieren. Viele kapitalmarkt-orientierte Unternehmen stehen hier noch am Anfang und sie benötigen also Zeit, die man ihnen auch geben muss. Sonst landen wir wieder bei Greenwashing und Co.
CRIC: Wäre es für die Qualität der nicht-finanziellen Berichterstattung hilfreich, ein Kernset von ggf. sektor-bezogenen Leistungsindikatoren zu definieren, wie es der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung derzeit anregt?
Prof. Velte: Ein Kernset von Leistungsindikatoren unabhängig von Unternehmensgröße, -risiko und -branche zu bestimmen, ist äußerst schwierig. Sollte man spezifische Kennzahlen gesetzlich vorschreiben, würde dies stark in die Unternehmenssteuerung eingreifen. Ein „one size fits all approach“ ist theoretisch hervorragend, allerdings mit großen Herausforderungen verbunden. In Deutschland haben wir nicht umsonst die Vorgabe, die wesentlichen finanziellen und nicht-finanziellen Leistungsindikatoren im Lagebericht zu zeigen. Welche dies im Einzelnen sind, bleibt den Unternehmen überlassen. Ein gangbarer Weg wäre es m. E., die nicht-finanziellen Belange zu konkretisieren und spezifische Kennzahlen als Auswahl aufzulisten. Dies hat die TCFD in ihren Leitlinien zur Klimaberichterstattung ja auch schon vorgenommen.
Wichtig für die Angabe von Kennzahlen ist m. E., dass diese sowohl in Relation zum Wettbewerbsumfeld als auch zur vorherigen Entwicklung des Unternehmens dargestellt und durch qualitative Informationen ergänzt werden. So bedarf es einer Erläuterung, wie die Kennzahl konkret berechnet wurde, wo die verwendeten Zahlen im Geschäftsbericht zu finden sind und was ursächlich für eingetretene Veränderungen ist. Beispielsweise ist eine Reduktion von CO2-Emissionen, die durch einen Corona-Krise bedingten Produktionsstopp zu erklären ist, anders zu bewerten als Einsparungen durch die Transformation des Geschäftsmodells im Hinblick auf klimaneutrale Produktion.
CRIC: Gibt es aus Ihrer Sicht bestimmte Themen, die in der nicht-finanziellen Berichterstattung stärker Berücksichtigung finden sollten?
Prof. Velte: Da gibt es viele Ansatzpunkte für Konkretisierungen. Bei nachhaltigen Lieferketten z. B. muss noch sehr ausführlicher eine Dokumentation erfolgen. Aber auch hier gilt: Voraussetzung ist eine massive Ausweitung der Risiko- und Nachhaltigkeits-Management-Systeme. Wir sehen ja in der aktuellen Corona-Krise, wie massiv die Lieferketten betroffen sind.
CRIC: In Bezug auf die Revision der CSR-Richtlinie wird aktuell diskutiert, inwiefern diese in Hinblick auf das Prinzip der doppelten Wesentlich konkretisiert werden sollte. Sehen Sie hier Bedarf?
Prof. Velte: Das Wesentlichkeitsprinzip ist das Kernprinzip der nicht-finanziellen Berichterstattung und zugleich das aktuelle Sorgenkind. Wenn die Unternehmen nicht sorgfältig und transparent herleiten, wie sie genau ihre wesentlichen nicht-finanziellen Informationen abgeleitet haben durch einen intensiven Stakeholder-Dialog, dann werden wir auch keine Transparenz in den nicht-finanziellen Berichten herstellen. So sollte z. B. ein berichtspflichtiges Klimarisiko nicht nur dann als relevant für die nicht-finanzielle Berichterstattung angesehen werden, wenn es sowohl zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens (Outside-In) als auch der Umwelt (Inside-Out) Perspektive führt, sondern auch dann, wenn nur einer der beiden Fälle eintritt. Hier hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der EU-CSR-Richtlinie eine eigenmächtige Erhöhung der Wesentlichkeitsschwelle vorgenommen. Die EU-Kommission sieht es bereits anders.
CRIC: Sie haben sich kürzlich in einem Gastbeitrag für die Börsenzeitung für eine externe Prüfung der nicht-finanziellen Berichterstattung ausgesprochen. Aus welchen Gründen?
Prof. Velte: Wir brauchen mehr Objektivität in der nicht-finanziellen Berichterstattung. Weder die Corporate Governance-Erklärung noch die nicht-finanzielle Erklärung oder der neue Vergütungsbericht müssen inhaltlich durch eine unternehmensexterne Instanz beurteilt werden. Dies steht im Gegensatz zur Pflichtprüfung der Finanzberichte bei kapitalmarktorientierten Unternehmen durch den Wirtschaftsprüfer. Eine externe Prüfung der nicht-finanziellen Berichte wäre hierzu ein wichtiger Beitrag. Dies wird u. a. auch derzeit auf EU-Ebene diskutiert. Für den Aufsichtsrat, der aktuell nach deutschem Aktienrecht zur inhaltlichen Prüfung der nicht-finanziellen Erklärung verpflichtet ist, wäre dies auch eine Entlastung. Die Empirie zeigt, dass seit dem CSR-RUG die Mehrzahl der berichtspflichtigen Unternehmen einen freiwilligen Prüfungsauftrag erteilen. Hierbei überwiegt die Beauftragung einer Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft. Da die Berichterstattung zu sozialen und ökologischen Themen naturgemäß sehr komplex ist, benötigen die Aufsichtsräte professionelle externe Hilfe. Durch die externe Prüfung würde auch der Druck auf den Vorstand steigen, die Qualität der nicht-finanziellen Berichte zu verbessern.
CRIC: In der Diskussion ist aktuell auch, die Berichtspflichten aus der CSR-Richtlinie auszuweiten. Inwiefern sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Prof. Velte: Mittel- bis langfristig sollten wir zu einer integrierten Berichterstattung für alle börsennotierten Unternehmen in der EU unabhängig von bestimmten Schwellenwerten bzgl. Umsatz, Mitarbeiter, Branche etc. kommen. Bei Unternehmen, die nicht kapitalmarkt-orientiert sind, sehe ich aktuell weniger Handlungsbedarf. Der deutsche Mittelstand ist überwiegend familiengeführt und ist sehr nachhaltig ausgerichtet. Familiengesellschafter benötigen keinen externen Nachhaltigkeitsbericht im Bundesanzeiger, sondern bekommen die relevanten Informationen sowieso über andere Kanäle.
CRIC: Die von großen Unternehmen wie BASF, Deutsche Bank und SAP unterstützte Value Balancing Alliance hat sich das Ziel gesetzt, einen einheitlichen Standard zur Messung und monetären Bewertung von Nachhaltigkeitsauswirkungen von Unternehmen zu erarbeiten. Wie bewerten Sie diese Initiative?
Prof. Velte: Die Initiative wie auch die Verknüpfung von Praxis und Forschung, die damit einhergeht, begrüße ich sehr. Die dahinterstehende Idee der Wertschöpfungsrechnung, einer holistischen Wertgenerierung für die Volkswirtschaft, ist bereits aus den 1970er Jahren in Deutschland bekannt. Wenn die Value Balancing Alliance einen signifikanten Beitrag leistet, nicht-finanzielle Risiken stärker mit dem unternehmerischen Rechnungs- und Finanzwesen zu verbinden, ist viel gewonnen. Denn sicher ist der integrierte Bericht der Königsweg. Hilfreiche aktuelle Leitlinien, wie ESG-Risiken in das Finanz(risiko)management integriert werden können, hat z. B. auch das Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) vorgelegt.
CRIC: Herr Prof. Velte, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Gesa Vögele.
Zum Weiterlesen:
- COSO: Enterprise Risk Management Applying enterprise risk management to environmental, social and governance-related risks
- Gastbeitrag von Prof. Patrick Velte in der Börsenzeitung vom 7. März 2020: Plädoyer für eine integrierte Finanz- und ESG-Berichterstattung
- Konsultation zur CSR-Richtlinie bis zum 11. Juni 2020 geöffnet
In der Rubrik Im Gespräch sind bereits erschienen:
- Ulrich Röhrle zum Nachhaltigkeitsmerkblatt der BaFin: „Ich bin überzeugt, dass wir den Blickwinkel komplett verändern müssen“
- Mag. Rainer Ladentrog zum neu gegründeten Netzwerk Shareholders for Change: „Die 22 Milliarden Euro, die von den Mitgliedern des neuen Engagement-Netzwerks verwaltet werden, sollen ein Treiber für eine nachhaltige Entwicklung sein“