Gas, Kernkraft und die EU-Taxonomie: Dokumente, Artikel, nächste Schritte

Der Versand des Vorschlags zum delegierten Rechtsakt der EU-Kommission an die Mitgliedstaaten zur Aufnahme von Kernkraft und Gas in die Taxonomie am letzten Tag des Jahres 2021 hat ein Beben bewirkt. Seitdem wird intensiv berichtet und diskutiert. Petitionen werden initiiert und Gutachten verfasst. CRIC gibt einen Überblick zu wichtigen Beiträgen, zeigt den weiteren politischen Ablauf auf und verweist auf Quellen, die Einschätzungen zum Erfolg von Klagen enthalten.

Worum – zunächst – geht es eigentlich? 

Um ein 60-seitiges Dokument mit folgendem Titel: 

COMMISSION DELEGATED REGULATION (EU) …/... of XXX amending Delegated Regulation (EU) 2021/2139 as regards economic activities in certain energy sectors and Delegated Regulation (EU) 2021/2178 as regards specific public disclosures for those economic activities (Text with EEA relevance)

Es geht also um den Entwurf des delegierten Rechtsakts, der das bislang ausgeklammerte Thema der Aufnahme von Kernkraft und Gas in die EU-Taxonomie regeln soll. 

Wie wird der weitere regulatorische Prozess aussehen?

Laut einer Pressemitteilung der EU-Kommission mit dem Titel  EU-Taxonomie: Kommission leitet Expertenkonsultation zu ergänzendem delegierten Rechtsakt über bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten ein vom 1. Januar 2022 stellt sich der Zeitplan wie folgt dar: 

  • Die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen und die Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen erhalten bis zum 12. Januar (Frist nochmals bis zum 21. Januar verlängert) Zeit, um Stellungnahmen zu übermitteln. 
  • Die Kommission wird die Stellungnahmen analysieren und den ergänzenden delegierten Rechtsakt im Januar 2022 annehmen (als Termin ist Stand 26. Januar offenbar der 2. Februar festgesetzt worden).
  • Anschließend wird er dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Prüfung vorgelegt, die vier Monate Zeit haben, den Rechtsakt zu prüfen und, falls sie es für notwendig erachten, Einwände zu erheben. Gemäß der Taxonomie-Verordnung können beide beantragen, dass diese Frist um zwei Monate verlängert wird. Der Rat hat das Recht, ihn mit verstärkter qualifizierter Mehrheit abzulehnen. Dies bedeutet, dass mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten (mindestens 20), die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren, Einwände erheben müssen. Das EU-Parlament kann ihn mit einer Mehrheit (mindestens 353 MdEP) im Plenum ablehnen. 
  • Nach Ablauf dieser Frist und sofern weder das Europäische Parlament noch der Rat Einwände erhoben haben, tritt der (ergänzende) delegierte Rechtsakt in Kraft und gilt. 

Wie sieht es mit Klagen aus?

Bekanntlich hat (neben Luxemburg) die Österreichische Regierung angekündigt zu klagen, wenn Kernkraft in die EU-Taxonomie aufgenommen wird. Ihre Positionen hat Sie am 21. Januar in einer 28 Seiten umfassenden Stellungnahme und zusammengefasst auf Twitter deutlich gemacht. Der Alpenstaat lehnt sowohl die Aufnahme von Kernkraft als auch diejenige von fossilem Gas in die EU-Taxonomie ab. 

Die Bundesrepublik Deutschland positioniert sich in ihrer relativ kurz gehaltenen Stellungnahme ebenso klar gegen die Aufnahme von Kernkraft. Mit Blick auf fossiles Gas äußert sich Deutschland jedoch zustimmend. Eine Klage wird nicht angekündigt. Vielmehr würde der Klageweg nach Einschätzung der Argumentation in einem Tagesspiegel-Artikel das politische Kalkül Deutschlands durchkreuzen.

Denn, so berichtet der Tagesspiegel, die Vorgaben der EU-Kommission für die Förderung von Atom- und Gaskraftwerken seien nach Einschätzung des EU-Experten Götz Reichert „rechtlich wirkungslos“. Ins Feld geführt werden nicht inhaltliche, sondern rechtliche-formale Gründe. Nach Einschätzung des Rechtsexperten sollten die Kläger einwenden, dass die EU-Kommission nicht berechtigt sei, über etwas so Wesentliches wie die Einstufung von fossilem Gas und Kernkraft als nachhaltig in einem delegierten Rechtsakt zu entscheiden. Im Falle einer Klage müsse der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Vorgaben daher als „nichtig“ erklären. Deutschland würde so zwar einen Erfolg mit Blick auf Kernkraft feiern können, jedoch um das Ziel gebracht, fossiles Gas als Brückentechnologie nachhaltig zu labeln.

In einem Rechtsgutachten kommt die Umwelthilfe unter anderem zu dem Schluss, dass die Aufnahme von Atom und fossilem Gas nicht mit dem Grundgesetz und den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen sei (mehr hier).  

Welche Position vertritt die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen?

Auch die Plattform on Sustainable Finance hat am 21. Januar ihre Position veröffentlicht, in der sie auf 44 Seiten detailliert ihre Einschätzungen und Empfehlungen erläutert: gegen die im EU-Vorschlag skizzierte Aufnahme von Kernkraft und Gas als grüne Wirtschaftstätigkeiten. An einigen Stellen verweist sie auf eine erweiterte Taxonomie, die ein Ampelsystem von roten, also nicht nachhaltigen, und grünen, also nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten vorsieht mit einem dazwischenliegenden orangefarbenen Bereich, der sich beispielsweise für Übergangs-Wirtschaftstätigkeiten anbieten könnte. Der Abschlussbericht zu solch einer erweiterten Taxonomie soll im ersten Quartal dieses Jahres vorgelegt werden. Sehr lesenswert und informativ hierzu ist auch der im Juli 2021 vorgelegte Zwischenbericht.  

Wie lautet die Position von CRIC?

CRIC hatte sich bereits in einer gemeinsamen Stellungnahme im September 2019 mit anderen Nachhaltigkeitsakteuren in Zusammenhang mit den Verhandlungen zur Taxonomie-Verordnung klar dagegen positioniert, ökologisch schädliche Stromerzeugung als nachhaltig zu definieren. CRIC unterstützte außerdem einen vom FNG initiierten offenen Brief zum Ausschluss von Kernkraft aus der EU-Taxonomie.  

Welche Petitionen laufen mit dem Ziel, die Aufnahme von Kernkraft und/oder Gas in die EU-Taxonomie zu verhindern? 

Ein gemeinsames Bündnis von BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW, Nabu, Umweltinstitut und Uranium Network sammeln unter dem Motto „Kein Geld für Atom und Gas!“ Unterschriften gegen die Annahme des delegierten Rechtsakts in der vorliegenden Form (direkt zur Petition).

Zuvor waren der Bundesregierung bereits Unterschriften übergeben worden.

Auch die Grünen im Europaparlament haben eine Petition zum Thema Meltdown for Europe's energy transition: Stop the greenwashing of nuclear power and gas! laufen.

Welche Artikel und Beiträge sind zu empfehlen? 

Der Mitschnitt des Online-Seminars Green Taxonomy & the EU Sustainable Finance Agenda Q & A mit dem Mitglied der Platform on Sustainable Finance Prof. Dr. Andreas Hoepner und anderen gibt einen sehr guten Einblick insbesondere in politische Hintergründe wie auch in die spezifischen Kriterien zu fossilem Gas.

Insbesondere zum Thema fossiles Gas ist weiterhin der in Environmental Finance erschienene Artikel Taxonomygate, ebenfalls von Prof. Dr. Andreas Hoepner, zu empfehlen. 

In einem Interview mit der ZEIT hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Position zur Aufnahme von Kernkraft und fossilem Gas in die EU-Taxonomie verteidigt.

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