Im Gespräch mit Delilah Rothenberg, Mitinitiatorin der TIFD

„Uns geht es allen besser, wenn wir teilen“

Delilah Rothenberg spielte und spielt eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit der Task Force on Inequality-Related Financial Disclosures (TIFD). Im Gespräch mit CRIC erzählt sie von der Arbeit der TIFD, von Ungleichheit, Ressourcenkonflikten, sozialen Spannungen, Kapitalmärkten und dem Einfluss der Investoren. Die Finanzexpertin wird auf der CRIC-Fachtagung Geld und Frieden über Ungleichheit als systemisches Risiko sprechen.

CRIC: Neben Ihrer Rolle in Zusammenhang mit der TIFD sind Sie Mitbegründerin und Geschäftsführerin der Predistribution Initiative (PDI). Was verstehen Sie unter Vorverteilung (Predistribution), möglicherweise in Abgrenzung zur Umverteilung (Redistribution), und was sind die Ziele der PDI?

Delilah Rothenberg: Vorverteilung ist ein Konzept, das vorsieht, alle Beteiligten für die von ihnen geschaffenen Wertschöpfung angemessener zu entlohnen, so dass sie später gar nicht erst auf Umverteilung angewiesen sind. Vorverteilung kann ein Mechanismus sein, der kontinuierlich dazu beiträgt, wirtschaftliche Ungleichheit zu bekämpfen.

Ein Beispiel: Wenn Arbeitnehmende für die von ihnen geschaffenen Werte von vornherein gut bezahlt werden, benötigen sie später keine Transfers oder Hilfen. Dies stärkt außerdem die Handlungsspielräume und Mitsprachemöglichkeiten der einzelnen. Denn bei der Umverteilung entscheiden andere Menschen darüber, welche Hilfen wie zur Verfügung gestellt werden. Die Menschen können dann nicht wirklich wählen und selbst entscheiden.

Die Verteilung von Wertschöpfung und Erträgen in der Gesellschaft insgesamt hängt stark mit den Finanz- und Kapitalmärkten zusammen. Um auf Ungleichheit einwirken zu können, ist es wichtig, bei den Wertschöpfungsketten der Kapitalmärkte über die Unternehmen hinauszugehen.

Zunächst haben Unternehmen selbstverständlich einen Einfluss auf ökonomische Ungleichheit und dies zwar nicht immer, aber dennoch häufig, in negativer Weise. Dies kann daher rühren, dass sie von Investoren unter Druck gesetzt werden, eine bestimmte Rendite zu erzielen, oder daher, dass der CEO einen Anreiz hat, hohe Renditen zu erzielen, weil die Vergütung über Aktien erfolgt. Und hier haben Investoren Einfluss.

Aber Investoren haben außerdem einen sehr direkten Einfluss. Auch Fondsmanager in den Bereichen Impact Investment und ESG erhalten in einigen Fällen extrem hohe Vergütungen. Führungskräfte von Unternehmen in den USA erhalten oft das 320-fache des durchschnittlichen Arbeitnehmers, während Führungskräfte der größten Private-Equity-Fondsmanager beispielsweise oft das 1000-fache verdienen.

Neben Fragen zur Entlohnung von Führungskräften im Verhältnis zu anderen Beschäftigten befassen wir uns z. B. auch mit Themen wie Financial Engineering. Viele strukturelle Probleme hängen mit dem Kapitalmarkt zusammen.

CRIC: Einer der vier Arbeitsbereiche der PDI heißt "Verbesserung der Standardsetzung und Offenlegung". Und Teil dieses Arbeitsbereichs ist die Task Force on Inequality-related Financial Disclosures (TIFD). Die PDI und Sie persönlich spielten und spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung und Arbeit der TIFD. Warum brauchen wir diese Initiative?

Delilah Rothenberg: Wenn wir über Frieden, den Wert der Natur und Ungleichheit nachdenken, dann zeigen die persönliche Erfahrung wie auch wissenschaftliche Studien, dass es zu sozialer Instabilität führen kann, wenn Menschen um Ressourcen kämpfen müssen. Der Raubbau an der Natur und die massiven Klimarisiken wirken sich negativ auf die Menschen aus und dies wiederum führt dazu, dass sich soziale Spannungen verstärken.

Es ist also wichtig, dass wir uns fragen, wie wir Ressourcen angemessen wertschätzen und dafür sorgen, dass sie gut verteilt sind. Hier gibt es einen direkten Zusammenhang zum Thema Frieden, der es Wert ist, hervorgehoben zu werden.

Die PDI selbst ist eines der vier Mitglieder des TIFD-Interimsekretariats. Wir nennen es Interimsekretariat, weil wir uns nicht selbst zum Sekretariat einer gemeinsamen Initiative ernennen wollen, die von und für eine breite Basis verschiedener Anspruchsgruppen weltweit mitgestaltet wird. Wir waren diejenigen, welche die Initiative ergriffen haben, um TIFD ins Leben zu rufen, und wir arbeiten daran, gute Verwalter zu sein, aber es wird schließlich eine inklusive demokratische Führungsstruktur geben.

Neben der PDI sind außerdem beteiligt:

Zwei dieser vier Organisationen haben in dem im Mai 2020 veröffentlichten Artikel It is time for a Taskforce on Inequality-related Financial Disclosures, dazu aufgerufen, eine TIFD ins Leben zu rufen. Das ist bei vielen auf großes Interesse gestoßen.

Wir sind in Gesprächen mit anderen Partnern und mit einer wachsenden Koalition von Verbündeten aus Wirtschaft, Finanzen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und anderen Anspruchsgruppen, um gemeinsam die TIFD aufzubauen und zu entwickeln.

CRIC: Wir haben schon einiges über Ungleichheit erfahren – auch zum Beispiel zum Zusammenhang mit Ressourcenkonflikten. Einige würden vielleicht trotzdem fragen: Müssen wir uns jetzt nicht auf den Klimawandel oder allgemein auf ökologische Aspekte konzentrieren? Warum ist Ungleichheit ein Thema, das wir stärker berücksichtigen sollten?

Delilah Rothenberg: Beginnen wir mit der Ungleichheit an sich. Wir haben bereits darüber gesprochen, wie Ungleichheit zu sozialer Instabilität führen kann, was wiederum nicht gut für die Märkte und auch nicht gut für Portfolios ist.

Es gibt Studien, die zeigen, dass Ungleichheit zu einer langfristigen Stagnation in der Wirtschaft führen kann. Die marginale Ausgabenneigung der Wohlhabenden ist viel geringer als die der weniger Wohlhabenden, so dass es weniger Handel gibt. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Wohlhabenden die Schuldenausgaben der Armen finanzieren, was zu Schuldenfallen und Problemen mit den Zinssätzen beiträgt, was letztlich zu instabilen Märkten und sozialer Instabilität führt.

Wenn Investoren und Wohlhabende mehr in Aktien und Immobilien investieren, steigt deren Wert. Die Preise steigen und es wird für andere Personen schwieriger, auf dem Markt zu investieren oder beispielsweise ein Haus zu kaufen. Dadurch kann eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden. Wir haben an vielen Orten in der Welt, zum Beispiel in Deutschland, gesehen, dass wirtschaftliche Unsicherheit zu Polarisierung führt und Menschen in den Extremismus treibt.

Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für alle Menschen. Zugleich gibt es viele Menschen, die seit Jahrzehnten unter wirtschaftlicher Unsicherheit leiden. Dies ist für sie eine existentielle Bedrohung. Welche sollte nun vorrangig behandelt werden? Ausschließlich diejenige, die auch die Wohlhabenden betrifft?

Wenn die eine Bedrohung adressiert wird, die andere aber nicht, dann führt das zu Misstrauen gegenüber den Reichen, den Politikerinnen, Politikern und denjenigen, die in Machpositionen sind. Und es macht sich eine Frustration darüber breit, dass es einen Fokus auf den Klimaschutz gibt, während die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen außer Acht gelassen werden.

Wir sehen dies zum Beispiel mit den "Gelbwesten" in Frankreich aber auch mit Protesten in Deutschland, Großbritannien, den USA und anderen Ländern. Die Menschen wenden sich gegen Maßnahmen zum Klimaschutz, weil sie befürchten, dass diese ihre Lebenshaltungskosten erhöhen.

CRIC: Das Konzept der systemischen Risiken spielt eine wichtige Rolle bei der Arbeit von TIFD. Können Sie das ein wenig näher erläutern – vielleicht sogar mit Beispielen?

Delilah Rothenberg: Es gibt ein Buch, das vor einiger Zeit erschienen ist. Es heißt "Moving Beyond Modern Portfolio Theory: Investing That Matters" und wurde von Jon Lukomnik und James P. Hawley verfasst. Darin werden die Konzepte des systemischen Risikos und des Universal Ownership erklärt und es wird aufgezeigt, dass sich der Großteil der Renditen eines diversifizierten Anlegers tatsächlich aus systemischen und systematischen Faktoren auf den Märkten ableitet.

Einzelne Investoren, die langfristig diversifiziert sind, sollten auf die Gesundheit des Gesamtmarktes und der Wirtschaft achten, weil die Märkte von der Wirtschaft abhängen und die Wirtschaft von der Gesundheit der Gesellschaft und der menschlichen und natürlichen Systeme. Darauf sollten wir uns konzentrieren, anstatt nur Alpha zu priorisieren und Externalitäten zu ignorieren, die das gesamte System destabilisieren. Für diversifizierte Anleger ist es sehr wichtig, systemische Risiken und externe Effekte in ihren Portfolios zu reduzieren.

CRIC: Woran arbeitet das TIFD derzeit, was sind die nächsten Schritte und gibt es Möglichkeiten, sich zu einzubringen?

Delilah Rothenberg: Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu einzubringen. Menschen und Organisationen können TIFD als Alliierte unterstützen, was ich empfehlen möchte. Daraus entstehen keine Verpflichtungen, man kann seine Unterstützung signalisieren, an den globalen Treffen teilnehmen und sich in die im Aufbau befindlichen Arbeitsgruppen einbringen.

Wir sind außerdem gerade dabei, eine technische Arbeitsgruppe aufzubauen, die den konzeptionellen Rahmen von TIFD und die Methodik entwickeln wird. Thematische Arbeitsgruppen werden dann die bestehenden Rahmen für die Offenlegung von Ungleichheit durchgehen, sie zusammenführen, Lücken ermitteln und daran arbeiten, sie zu schließen. Parallel dazu bauen wir einen Forschungsrat mit Menschen aus der Wissenschaft und anderen Wissenspartnern auf der ganzen Welt auf, die uns bei unserer Arbeit unterstützen.

TIFD unterscheidet sich in mehreren Punkten von anderen Offenlegungs-Rahmenwerken. Zum einen verstehen wir uns eher als einen Rahmen für systemisches Risiko-Management denn als reines Offenlegungs-Rahmenwerk. Dies bedeutet zum Beispiel, dass wir auch Anleitung dafür geben wollen, wie gute Ergebnisse aussehen, was angemessene Ziele sind und wohin wir wollen.

Ein weiterer Unterschied ist, dass wir uns nicht auf Unternehmen konzentrieren, sondern auch auf die Offenlegung von Investoren. Wir werden also neben Themen wie Entlohnung auch Fragen wie Financial Engineering, Steuerstrukturierung, politisches Lobbying und politische Ausgaben behandeln.

Wir werden auch die Stimmen der Zivilgesellschaft, des Globalen Südens und von marginalisierten Gruppen einbeziehen, weil es keinen Sinn macht, ein solches Rahmenwerk ohne die betroffenen Anspruchsgruppen zu entwickeln. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns ganz bewusst leisten, diese Stimmen zu hören, da sie Ungleichheit auf eine Weise verstehen, wie es Investoren und Unternehmen nicht können. Es gibt ein Sprichwort aus der Behindertenrechtsbewegung: "Nichts über uns ohne uns", und wir halten uns sehr an dieses Motto.

CRIC: Zum Schluss noch eine persönlichere Frage: Gibt es eine besondere Verbindung zum Thema Ungleichheit, die Sie dazu motiviert, an diesem Thema zu arbeiten?

Delilah Rothenberg: Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, und ich glaube, das hat viel mit meiner Erziehung zu tun. Ich bin jüdisch und in einem jüdischen Haushalt aufgewachsen. Ich habe viel über den Holocaust erfahren und das hat mich sehr stark beschäftigt und auch die Frage, warum das alles in Deutschland passiert ist.

Ich glaube, dass die Wurzel in der wirtschaftlichen Ungleichheit liegt. Wenn Menschen um ökonomische Ressourcen kämpfen und sich wirtschaftlich unsicher fühlen oder die Befürchtung da ist, einem selbst oder der Familie könnte etwas weggenommen werden, dann kann das viel Angst, Feindseligkeit und „Sündenbockdenken“ auslösen. Das ist ein wichtiger Grund, warum ich mich entschieden habe, das zu tun, was ich in meinem Leben tue. Uns geht es allen besser, wenn wir teilen. Teilen ist Fürsorge.

CRIC: Wir danken für das Gespräch.

Delilah Rothenberg: Ich danke für die Einladung.

Das Gespräch führte Gesa Vögele.

The interview in an English version is available here.

Anmerkung: Beim Interview sowohl in der deutschen als auch der englischen Version ist zum Teil auf die Unterstützung von DeepL zurückgegriffen worden.

© 2023 CRIC e.V. Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage. All Rights Reserved.
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.