Rückblick: Engagement-Dialoge #3: Investoren und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Entwaldung

Am 10. Juni 2022 fand die vierte Veranstaltung der CRIC-Reihe Biodiversität und Sustainable Finance statt.

Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe befasst sich CRIC – angesichts der geringen Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs für das Thema Artenvielfalt trotz seiner Dringlichkeit – aus verschiedenen Blickwinkeln mit Fragestellungen rund um Biodiversität und Sustainable Finance. Den Auftakt machte ein Dialog zwischen den Fachdisziplinen Biologie und Theologie (zum Rückblick). Beim zweiten Event standen mit der Regulatorik rechtliche und politische Aspekte im Fokus (zum Rückblick). Beim letzten Mal widmete sich CRIC dem Thema Risiko-Management aus einer sehr praxisorientierten Perspektive (zum Rückblick). Bei dieser Veranstaltung wurden Fragen danach adressiert, wie Investoren Einfluss auf den Schutz der Artenvielfalt nehmen können.

Gemeinsam gegen Entwaldung

Der Wald hat für die Artenvielfalt eine herausragende Bedeutung. Besonders die tropischen Regenwälder bieten Lebensraum für Menschen, liefern Nahrungsmittel und Naturgüter, beeinflussen das Klima auf regionaler und globaler Ebene und spielen eine wichtige Rolle im Kohlenstoffkreislauf der Erde. Nach Schätzungen beheimaten sie 50 bis 75 Prozent der Pflanzen- und Tierarten. Die fortschreitende Entwaldung gefährdet die Artenvielfalt enorm, weshalb es ein zentrales Ziel darstellt, dieser Einhalt zu gebieten. Investoren können unter anderem durch Dialogstrategien Einfluss nehmen, weshalb in diesem Engagement-Dialog verschiedene Beispiele vorgestellt und die Themen Entwaldung, Dialogstrategien, Rolle der Zivilgesellschaft und Perspektive von Indigenen miteinander verknüpft wurden.

Abholzung in den Rindfleisch- und Soja-Wertschöpfungsketten

Zunächst stellte Matthias Narr von Ethos ein Engagement-Beispiel zu Aktivitäten im Bereich der Abholzung im Zusammenhang mit Soja und Rindfleisch vor. Er betonte, dass die Abholzung sowohl ein wichtiger Treiber des Klimawandels als auch der Biodiversität sei. Mit Blick auf die Abholzung in den Rinder- und Soja-Wertschöpfungsketten sei das Thema relevant für institutionelle Investoren, da diverse Sektoren in die Produktion, Verarbeitung und den Verkauf exponierter Rohstoff involviert sind, weshalb auch Treibhausgas-Emissionen und Biodiversitätsrisiken über die gesamten Portfolios verteilt sind. Allerdings können die Unternehmen sowohl in den Betrieben als auch in den Lieferketten gegen Abholzung vorgehen, weshalb Ethos den Dialog mit Unternehmen als wichtiges Werkzeug versteht, um klima- und biodiversitätsbedingte Risiken in Portfolios zu managen.

Die Neuaufsetzung einer Engagement-Kampagne beginnt bei Ethos mit einer Grundlagenrecherche und dem Definieren von Erwartungen.  Im Fall der Abholzungs-Kampagne, die im Herbst 2021 lanciert wurde, sind diese:

  • Einführung einer „No-deforestation policy“
  • Vollständige Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette
  • Überwachungs- und Verifikationssystem, einschließlich Beschwerdemechanismus
  • Dialog mit den Lieferanten
  • Freiwillige Nachhaltigkeitszertifizierung
  • Berichterstattung bezüglich der Umsetzung der „No-deforestation policy“

Der Fokus auf Rindfleisch und Soja aus Brasilien entsprang dem Eindruck, dass dies noch „under-engaged“ sei. Anvisiert wurden entsprechend Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von brasilianischen Erzeugern und Verarbeitern, über US-Agrarrohstoffhändler mit großem Beschaffungsvolumen in Brasilien, bis hin zu europäischen Einzelhändlern, die einschlägige Produkte aus Brasilien beziehen und verkaufen. Mit diesen wird konstant Kontakt gehalten und sie werden entlang der definierten Erwartungen bezüglich ihres Fortschrittes bewertet. Besondere Herausforderungen stellen derzeit die vollständige Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette sowie der Einsatz von Überwachungs- und Verifikationssystemen dar.

In der Regel liegt der Zeithorizont der Kampagnen bei vier Jahren, worauf gegebenenfalls Divestment-Empfehlungen folgen. Das Engagement verläuft bei Ethos entlang fünf Etappen, die auf die Analyse und Identifikation des Problems folgen:

  1. Brief an den Präsidenten des Verwaltungsrates
  2. Kontakt mit den Unternehmen etabliert
  3. Unternehmen anerkennt Problem und ist offen für Dialog
  4. Unternehmen entwickelt glaubhafte Strategie, um das Problem anzugehen
  5. Problem gelöst und geeignete Maßnahmen umgesetzt

Momentan sind alle Unternehmen der Abholzungskampagne in der dritten Etappe gespeichert.

Katholischer Engagement-Dialog zum Schutz des Amazonas und der dort lebenden indigenen und traditionellen Bevölkerung

Anschließend stellte Tommy Piemonte (Bank für Kirche und Caritas) das Engagement einer Gruppe von rund 100 katholischen Organisationen zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes und der dort lebenden Bevölkerung vor. Dabei betonte er vor allem die Rolle der indigenen und traditionellen Bevölkerung für den Schutz des Regenwaldes.

Für die Bank für Kirche und Caritas spielt neben einer ethisch-nachhaltigen Anlagestrategie das Thema Engagement eine wichtige Rolle, wobei mit Unternehmen und Ländern in Dialog getreten wird, um ihre Nachhaltigkeitsbemühungen zu verbessern. Dabei wird Brasilien aufgrund der Menschenrechts-, Sozial- und Umweltverstöße zunehmend kritisch betrachtet und mit dem Land der Dialog gesucht, da derzeit brasilianische Staatsanleihen und brasilianische Unternehmen noch Teil ihres Anlageuniversums seien. Der Fokus auf Engagement im Bereich der Abholzung des Regenwaldes resultiert aus der Motivation, die Rechte der traditionellen und indigenen Bevölkerung besser zu schützen. Diese würden massiv durch die extrem schnell fortschreitende Abholzung verletzt. Neben den ethischen Aspekten spielen zudem finanzielle Bedenken eine Rolle.

Die verfolgte Strategie fokussiert sich auf das katholische Engagement, da Brasiliens Bevölkerung weitgehend katholisch ist. So soll weite Aufmerksamkeit für das Thema bei Öffentlichkeit und Regierung generiert werden. Hierzu verfolgt seit März 2021 eine internationale Gruppe mit vielfältigen katholischen Institutionen eine Strategie, die mit dem Versand eines Briefes an Vertreter der brasilianischen Entscheidungsträger startete. Zentrale Forderung an die brasilianische Regierung war dabei das Aufstellen eines Aktionsplans, der Teilziele wie die Umsetzung einer strengen Umweltschutzgesetzgebung, einen konkreten Plan zur Bekämpfung der Entwaldung, Aufforstungsmaßnahmen und weitere umfasst. Darüber hinaus wurde auf kurzfristige Sicht gefordert, dass die Umsetzung der Marco-Temporal-These (nach dieser gilt nur das Land, das zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung 1988 physisch von indigenen Gruppen bewohnt war, als „indigenes Land“ und schließt somit Land aus, von dem indigene Gruppen gewaltsam vertrieben wurden) sowie weitere Gesetzesvorhaben, die die Rechte indigener Gruppen beschneiden, gestoppt werden.

Neben dem Dialog mit brasilianischen Entscheidungsträgern ist Teil der Engagement-Strategie das Schaffen von Aufmerksamkeit in der brasilianischen und internationalen Öffentlichkeit, die Kooperation mit internationalen institutionellen Investoren-Allianzen sowie die Sensibilisierung der internationalen katholischen Investorengemeinschaft für das Thema. Dabei wird der Austausch mit weiteren NGOs, kirchlichen und internationalen Organisationen sowie mit weiteren staatlichen Stellen ausgebaut, um Expertise und Reichweite zu generieren.

Nun konnte nach knapp einem Jahr festgestellt werden, dass es erste Reaktionen auf das Engagement gibt. Es findet direkter Dialog mit Regierungsvertretern statt, es wurde umfangreich über das Engagement berichtet und verschiedene Investoren-Allianzen konnten sensibilisiert werden. So sind die Engagement-Aktivitäten nicht wirkungslos geblieben, auch wenn die Regierung noch keine maßgeblichen Veränderungen vorangetrieben hat.

Die Perspektive indigener Völker auf Entwaldung

Kernanliegen der NGO Survival International ist das Überleben indigener Völker, deren Perspektive Linda Poppe im dritten Teil der Veranstaltung in die Diskussion einbrachte. Survival International möchte vermitteln, dass indigene Völker zeitgenössisches Völker und zentraler Bestandteil der Menschheit, jedoch stark von Rassismus und mörderischer Gewalt betroffen sind. Um die Menschenrechtsverletzungen zu stoppen, wird ein Wandel der öffentlichen Meinung angestrebt.

Relevant seien indigene Völker und Länder auch für die Artenvielfalt, da sie Vorreiter im Erhalt von Wäldern seien. Laut Schätzungen würden indigene Völker trotz ihres kleinen weltweiten Bevölkerungsanteils etwa 80 Prozent der Artenvielfalt managen. Allerdings seien nicht alle Maßnahmen, die gegen Entwaldung getroffen werden, konform mit dem Schutz der Rechte indigener Bevölkerungen. So bedrohe gewaltsamer Naturschutz vor allem Völker in Afrika und Asien.

Linda Poppe betonte, dass zivilgesellschaftlicher Dialog eine Wahl und ein Privileg ist, das viele Betroffenen selber nicht haben. Deshalb entstehe eine Lücke, die nicht gänzlich gefüllt werden könne. Auch Survival International würde von den indigenen Völkern lernen und sei sich daher über die Grenzen des Engagements bewusst. Daher müsse beim Dialog – gerade im Bereich des Naturschutzes und der Entwaldung – unbedingt die Gefahr der Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Bevölkerungsgruppen mitgedacht werden.

Fazit

In einer abschließenden Runde formulierte Linda Poppe den Wunsch, dass Biodiversitätserhalt tatsächlich nachhaltig angegangen wird. Die Erfüllung des Zieles, 30 Prozent der Landfläche unter Naturschutz zu stellen, gehe unabdingbar mit Menschenrechtsverletzungen indigener Bevölkerungen einher. Nachhaltiger sei es, Land indigener Völker zu schützen. Matthias Narr sagte, dass mit einem Umdenken auf Regierungsebene in Brasilien bereits viel gewonnen sein würde. Tommy Piemonte wies darauf hin, dass auch im Privaten Engagement betrieben werden und die Zivilbevölkerung sich aktiv einsetzen kann.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Gesa Vögele.

Die Präsentation zum Download

Mitschnitt und weitere Veranstaltungen

Die Veranstaltung ist aufgezeichnet worden. Wir bitten darum, bei Interesse daran eine E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! zu senden. Wir schicken Ihnen den Link dann gerne zu.

Überblick zur Reihe Biodiversität & Sustainable Finance:

  • 25. April 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Im Gespräch – der Mensch und die Vielfalt des Lebens aus Sicht von Theologie und Biologie mit Prof. Ursula Nothelle-Wildfeuer (Universität Freiburg) und Prof. Pierre L Ibisch (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde) – zum Rückblick
  • 12. Mai 2022, 14 Uhr bis 15.30 Uhr: Politik im Fokus #6 – ein Überblick zur Regulierung rund um Sustainable Finance und Biodiversität mit Lana Ollier und Bruno Bischoff (beide ECOFACT) – zum Rückblick
  • 20. Mai 2022, 11 bis 13 Uhr: Praxisperspektiven #1 – Messen und Steuern: von Klima- zu Biodiversitätsrisiken mit Björn Holste (Liminalytics), GLS Bank (Jan Köpper) und Janine von Wolfersdorff (The New Institute) zum Rückblick
  • 10. Juni 2022, 11 bis 12.30 Uhr: Engagement-Dialoge #3 – Investoren und Zivilgesellschaft gemeinsam gegen Entwaldung mit Tommy Piemonte (Bank für Kirche und Caritas), Matthias Narr (Ethos) und Sakina Johow (Survival International) 

Weitere Informationen zu CRIC-Veranstaltungen gibt es hier.

Über die CRIC-Reihe Engagement-Dialoge:Engagement ist für CRIC seit der Gründung im Jahr 2000 ein wichtiges Thema, das der Verein über die Jahre auf unterschiedliche Weise begleitet hat. Ende 2020 ist der CRIC-Sammelband Nachhaltige Finanzen. Mit aktivem Aktionärstum und Engagement Wandel bewirken erschienen, der sich dem Thema multiperspektivisch widmet und damit einen Beitrag zur Debatte und Weiterentwicklung von Engagement leisten möchte. Die CRIC-Reihe Engagement-Dialoge überträgt diesen Gedanken auf ein Veranstaltungsformat, das aktuelle Fragestellungen aufgreifen und Denkanstöße geben soll. 

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